Können Tiere (Hühner) trauern?
Nachdem ich zufällig in einem Forum Beiträge über trauernde Hühner gelesen hatte, hab ich ein wenig recherchiert. Das ist eine interessante Angelegenheit und es hat mich auch neugierig gemacht; wie andere darüber denken und was die Fachliteratur zu diesem Thema schreibt.
Die meisten Hühnerhalter; die ich nach ihrer Meinung gefragt habe, haben mich angeschaut; als würde ich sie mit dieser Frage auf den Arm nehmen wollen, die anderen waren sehr überzeugt; dass Hühner trauern können. Auch wenn sie nicht genau definieren konnten, wie das Trauern bei Hühnern aussieht.
Aufgefallen sind mir hauptsächlich zwei Meinungsrichtungen: Die einen sagen, dass dies absoluter Quatsch sei, die andere, meiner Meinung nach ins andere Extrem ausschlagende Meinung ist, dass das Verhalten von Hühnern im hohen Maße vermenschlicht wird. Zum Beispiel dann, wenn Hühner plötzlich Verhaltensauffälligkeiten zeigen, wenn ein Tier unerwarteterweise nicht mehr im Herdenverbund ist (wenn z.B. ein Hahn geschlachtet wird). Da wird den Tieren menschliches Verhalten angedichtet, z.B. dass sich Hühner aus Wesensschmerz zu Tode trauern können, wenn ihr Lieblingshahn stirbt.
Zur Einleitung etwas Grundlegendes zum Sozialverhalten von Hühnern. Vielleicht ist es dann besser verständlich, welche Veränderungen in einem Huhn vorgehen, wenn ein anderes Huhn aus der Herde stirbt oder der Hühnergemeinschaft entnommen wird.
Da weder im Internet noch in der mir bekannten aktuellen Geflügelliteratur genaueres zum Thema zu finden ist, werde ich mich hier hauptsächlich auf die Aussagen von Engelmann stützen. Seine Literatur übers Hausgeflügel ist einmalig und sucht auch heute noch seinesgleichen.
Ich zitiere aus „Leben und Verhalten unseres Hausgeflügel“ von C. Engelmann:
Sozialverbände und Ihre Strukturen
[Das Leben in einer Gemeinschaft bedeutet für den einzelnen Angehörigen größeren Schutz vor Bedrohung und eine nicht unbeträchtliche Entlastung seiner eigenen Aufmerksamkeit….]
[Daraus ergibt sich eine gewisse individuelle Sicherheit, so dass jedes Tier weitgehenst ungestört leben, sich verpaaren, brüten, Futter suchen oder ruhen kann.]
[Bei allen Geflügelarten handelt es sich um Gemeinschaftstiere.] [Dadurch erhalten diese lebende Systeme insgesamt innere Festigkeit und nach außen, allen Umweltfaktoren gegenüber, eine verhältnismäßig große Geschlossenheit.]
Weiter schreibt er:
[Die Beziehung zu den Gefährten erhält durch die feste Rangordnung von Huhn zu Huhn einen äußerst wirksamen Stabilisierungsfaktor. Diese „Hackordnung“ sichert jedem Angehörigem der Sozialgemeinschaft Hühnerherde einen bestimmten sozialen Rang, erlöst von dem Zwang zu ständiger Wachsamkeit und vermittelt ein Gefühl der Zugehörigkeit, das die Hühner, zumal die Hennen, sicher, ruhig und leistungsfähig macht.]
Zitat Ende
Wer unter uns Hühnerhaltern kennt nicht das Verhalten von neu zugesetzten Hennen, die zwar immer wieder die Nähe zu der ihnen fremden Herde suchen obwohl sie von diesen immer wieder „weggepickt“ werden. Mit der Zeit verringert sich zwar die Distanz, in der sich das neue Tier der Herde nähern darf, ohne weggepickt zu werden. Je nach Temperament der einzelnen Tiere vergehen einige wenige Wochen oder Monate, bis sich die neue Henne vollständig in die Herde integriert hat.
Ist bei den Hennen das Dominanzstreben stark ausgebildet, halten sich Hennen, die in der Rangordnung der Herde weiter unten stehen, gerne in der Nähe des Hahnes auf. Kommt es zu Streitigkeiten zwischen den Hennen, geht der Hahn entsprechend energisch dazwischen. Dieses Verhalten konnte ich immer dann beobachten, wenn die rangniederen Hennen zu den Lieblingshennen des Hahnes gehören. Der Hahn bietet diesen Hennen so eine Art Schutz und ist gleichzeitig Regulator innerhalb der Hennen Rangordnung.
Verändert sich plötzlich etwas in dieser Rangordnung (wenn z.B. der Hahn stirbt), kann es für eine Henne unsicher sein, ob sich ihre Position innerhalb dieser neuen Rangordnung ändert. Das kann für ein Tier Stress bedeuten. Das Huhn zeigt sich unsicher, gereizt, es scheint in manchen Fällen so, als ob sie z.B. den Hahn sucht, der geschlachtet wurde. Der Hahn, der ihr Sicherheit innerhalb der Herde bedeutet hat.
Hühner haben da ein fein austariertes Empfinden, wie es mit dem Befinden der anderen Hühner aussieht. Ist zum Beispiel eine Alphahenne verletzt oder krank, kann eine dominante Junghenne dies ausnützen, diese Alphahenne angreifen und sich dadurch in der Hackordnung nach oben bringen.
Einer meiner Althähne hatte sich einmal am Fuß verletzt und ich musste ihn aus der Herde nehmen, keine 2 Minuten später gingen die Junghähne die Althennen an und wollten sie begatten, das hatten sie sich vorher nicht getraut, so lange der Althahn in der Herde lief. Da der kranke Hahn geschlachtet werden musste, hat sich die ganze Herdenstruktur verändert. Da keiner der Junghähne schon so weit war um die Führung der Herde zu übernehmen, gab es fast 14 Tage lang kein geordnetes Sozialverhalten. In dieser Zeit gab’s auch aus dieser Herde keine Eier, die Hennen waren sichtlich unruhig und gestresst.
Was ist das Trauern bei unseren Hühnern?
Ich zitiere aus verschiedenen Quellen aus dem Internet:
[Eine Grundvoraussetzung für die Fähigkeit zu trauern ist offenbar, dass sich die Tiere individuell kennen. Das ist bei vielen Arten der Fall, die in sozialen Gruppen zusammenleben. "Außerdem müssen die Tiere in der Lage sein, Bindungen untereinander aufzubauen"]
http://www.sueddeutsche.de/wissen/tote-artgenossen-trauer-in-der-wildnis-1.833698-3
[Die Bestürzung, die wir und offensichtlich auch manche Tiere verspüren, wenn jemand, der für uns oder sie wichtig ist, verschwindet, hat ihre Wurzeln nicht im Mitleid. Trauer ist letztlich offenbar nichts anderes als Stress aufgrund des Verlustes von Sicherheit - der Sicherheit, einen festen Beziehungspartner, ein Kind oder einen Kameraden zu haben, dem man vertrauen und auf den man sich verlassen kann….]
[Und die daraus resultierende Unsicherheit ist ja häufig berechtigt. Hunde ohne Herrchen enden oft im Tierheim. Elefanten- und andere Tierherden fallen nach dem Verlust erfahrener Mitglieder manchmal auseinander, Jungtiere gehen verloren. Gänse können ohne den Partner ihren Rang unter den Artgenossen nicht halten.]
http://www.sueddeutsche.de/wissen/frage-der-woche-trauern-tiere-1.587470
Zitat Ende
Das Internet gibt Antworten zu der Frage: Welches sind die Anzeichen das ein Huhn trauert
Meine Meinung zu den obigen Punkten in kursiv:
Angebliche Anzeichen von Trauer bzw. das Fehlen des Hahnes:
- Leistungsabnahme, verminderte Eierleistung
Das Fehlen eines Tieres in der Herde kann die Rangstruktur verschieben. Das bedeutet immensen Stress und vielleicht auch Unsicherheit. Bei legenden Hühnern kann das durchaus bedeuten, dass weniger Eier gelegt werden, im extremen Fall kann die Legetätigkeit unterbrochen werden.
2. Hühner freuen sich über den Abgang eines Hahnes…
So viel Schwachsinn habe ich noch nie gehört… kein Kommentar!
3. Hühner suchen nach dem nicht mehr vorhandenen Tier
Habe ich selber schon bei meinen Hühnern beobachtet. Ob das jetzt Trauer im „menschlichen Sinne“ ist oder ob die Henne ihren Sozialpartner vermisst, der ihr Schutz und Erhaltung innerhalb der Hennenhierarchie sicherte, ich weiß es nicht. Tatsache war, dass diese Henne das Verhalten nach ca. 3Tagen wieder abgelegt hatte.
4. Hennen sind völlig orientierungslos
Völlige Orientierungslosigkeit finde ich arg übertrieben. Aber wie Man(n) Frau jetzt das oben Stehende interpretiert, ist eine andere Sache. Der eine oder andere könnte das auch als „Orientierungslosigkeit“ bezeichnen.
Ganz klar, Hähne haben manchmal so eine Art Lieblingshenne. Gerade diese Henne sieht vom vielen Poppen auf dem Rücken völlig kahl aus. Das kann so weit gehen, dass der Hahn die anderen Hennen gar nicht, oder schlecht befruchtet. Dann muss die „Lieblingshenne“ des Hahnes kurzfristig aus der Herde genommen werden. Bei Kämpfern ist das schwierig, denn ist die Alphahenne mal aus der Gruppe genommen, kann es unter den restlichen Hennen zu schweren Rangkämpfen kommen. Unter Umständen lässt sich später die Alphahenne nicht mehr ohne Verluste in die alte Gruppe Integrieren.
Solches Verhalten hat meiner Meinung nach aber nichts mit der Zuneigung zu tun, die wir als Menschen kennen. Dass ein Hahn eine Lieblingshenne hat, kann verschiedene Gründe haben:
- Die Henne ist nicht dominant und hält sich besonders im Umfeld des Hahnes auf um sich so vor den Rangstreitigkeiten mit anderen Hennen zu schützen.
- Eine besonders dominante Henne kann sich immer in der Nähe des Hahnes aufhalten, so halten sie die Distanz der rangniederen Hennen zum Hahn größer.
- Eine Prägung bzw. Bevorzugung von visuellen Merkmalen (Farbe, Körperbau, Kammgröße, etc.) Hennen, die in der Legereife sind, scheinen besonders reizvoll für den Hahn.
- Oder in der Mischform, wenn die verschiedenen obigen Merkmale zusammentreffen
Für uns Menschen sieht es schön aus, wenn der Hahn und seine Lieblingshenne unterwegs sind, allzu schnell haben wir das Bild eines verliebten Pärchens vor unseren inneren Augen - Hühner sind keine Menschen und das Verhalten unseren Hühner sollte nicht vermenschlicht werden. Aussagen, dass ein Huhn bei Regen seinen Flügel um das andere Huhn legt, um dieses vor Regen zu schützen, zeichnen den Wunsch und das übersteigerte Verlangen, im Geflügel vermenschlichte Sozialpartner zu sehen. Diese Menschen suchen wahrscheinlich ihren persönlichen Halt im angeblichen besseren Menschen, dem Tier.
Zum „Geflügellatein“ gehören so fragwürdige Aussagen, dass die verminderte Eierleistung bei Hennen ein Zeichen sei, dass der nun fehlende Hahn ein „guter“ Hahn gewesen sei.
Dass ein Huhn ein Lebewesen ist und unsere Achtung verdienen sollte, das sollte uns allen bewusst sein. Vielleicht gibt es bei unseren Hühnern noch viel zu entdecken und ganz bestimmt sollten wir ihnen auch mit dem gleichen Respekt entgegentreten, den wir uns selber von anderen auch wünschen. Nicht desto trotz kann ein Huhn ein erstklassiges Lebensmittel darstellen, das wir bewusst zu uns nehmen sollten.
Auf die Frage, ob ein Huhn trauert, würde ich sagen nein, nicht wie wir Menschen. Ganz sicher aber kann sich das Fehlen eines Tieres in dem Sozialverband Hühnerherde negativ bemerkbar machen.
Andi Haller
Literaturtipps & Links
Literaturtipps:
- "So leben Hühner, Tauben, Gänse", C. Engelmann, Neumann Verlag, 1961
- "Leben und Verhalten unseres Hausgeflügels", C. Engelmann, Neumann Verlag, 1984
- "Ernährung und Fütterung des Geflügels", C. Engelmann, Neumann Verlag, 1953
Links
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